Ist ein Konflikt am Arbeitsplatz immer negativ?
85 % der Angestellten müssen im Rahmen ihrer Arbeit mit Konfliktsituationen umgehen. Vielleicht kommt dir das viel vor, weil du nicht unbedingt jeden Tag mit deinem Chef streitest, doch insgesamt gesehen sind Konflikte ein ziemlich unvermeidbarer Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens – ob im Unternehmen oder im Privaten. Auch wenn kaum jemand Konflikte mag, ist es selten eine gute Lösung, vor ihnen wegzulaufen. Gleichzeitig bedeuten Konflikte nicht zwingend, sich verbissen mit anderen zu streiten. Wenn man es richtig angeht, kann man aus einem Konflikt am Arbeitsplatz sogar etwas Positives ziehen. Davon ist Marie-Eve Journet, die Managerin des Designteams bei JobTeaser, auf jeden Fall überzeugt. Sie erklärt dir, warum.
24. Mai 2023 · 1 min Lesezeit

Zunächst eine kurze Definition: Was versteht man unter einem Konflikt am Arbeitsplatz?
Das Wort „Konflikt“ ruft in uns zunächst einmal sehr negative Assoziationen hervor, aber ein Konflikt kann auch etwas Positives haben. Anders ist das natürlich bei Konflikten, die zu handfesten Auseinandersetzungen führen (schlimmstenfalls mit aggressivem Verhalten oder Handgreiflichkeiten) oder in denen es zu Einschüchterungsversuchen, Beleidigungen oder Mobbing kommt (damit ist nicht zu spaßen) – solche Konflikte sind weder wünschenswert noch konstruktiv.
Doch zum Glück führen die meisten Konflikte nicht zu solchen Extremsituationen. Wie auch im privaten Bereich tritt auch ein Konflikt im Beruf oft einfach als Meinungsverschiedenheit oder als Reaktion auf ein Missverständnis oder etwas Unausgesprochenes auf.
Teammitglieder geraten etwa über Ideen, Arbeitsmethoden oder jemandes Verhalten gegenüber anderen in Konflikt. Ein Beispiel: Deine Kollegen haben die Angewohnheit, laut kichernd zusammen TikTok-Videos zu gucken, selbst wenn du gerade am Tisch nebenan mit einem Kunden telefonierst. Wer mit Menschen zusammenarbeitet, muss sich zwangsläufig mit unterschiedlichen Meinungen, Vorgehensweisen und Gewohnheiten auseinandersetzen, was zwar nicht immer, aber doch häufig zu Konflikten führt. Kurz gesagt: Konflikte entstehen oft, wenn man einander nicht oder nur schlecht versteht.
Manager:innen sind zur gleichen Zeit Vorgesetzte, Stützpfeiler eines Teams und oft auch Vertrauenspersonen. Führt das dazu, dass sie besonders häufig Konflikten ausgesetzt sind?
Das kann man so sagen, ja. Manager:in zu sein bedeutet schließlich häufig, Konflikte zu lösen, die in einem Team auftreten. Etwa weil jemand immer sein dreckiges Geschirr im Spülbecken der Gemeinschaftsküche stehen lässt oder andere in Meetings ständig unterbricht. Oder auch, weil einem Teammitglied die Phantasie einen Streich spielt und es fürchtet, dass jemand hinter seinem Rücken schlecht über es redet, obwohl das gar nicht stimmt – auch das kommt ja immer mal vor. Es gibt unzählige Beispiele.
Zu unseren Aufgaben als Manager:innen gehört es auch, regelmäßig Feedback zu geben. Dadurch kommt es vor, dass wir selbst die Person sind, die einen „Konflikt“ auslöst. Mit der Zeit habe ich aber eines gelernt: Selbst wenn es in einem Moment schwer ist, ehrliches Feedback zu geben, muss es unbedingt ausgesprochen werden. Denn wenn es uns so schwer fällt, etwas zu sagen, handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um etwas, das ein ernsthaftes Problem für das Team oder den reibungslosen Ablauf des Projekts darstellt.
Was sind deine Tipps, um am besten mit einem Konflikt im Beruf umzugehen?
Zunächst: Sprich die Dinge aus. Am besten auf eine angemessene Weise und im richtigen Tonfall, aber im Zweifel ist alles besser, als das, was man zu sagen hat, für sich zu behalten. Wenn du zulässt, dass eine Situation immer festgefahrener wird oder sich unausgesprochene Vorwürfe anhäufen, entsteht schnell ein viel schwerer lösbarer Konflikt oder alle fühlen sich zunehmend unwohl. Trau dich daher, dich zu widersetzen und zu sagen, was dir nicht gefällt. Die Herausforderung besteht darin, mit der Zeit immer besser zu lernen, welche Auseinandersetzung sich lohnt, nicht automatisch defensiv oder angreifend zu werden und emotionale Intelligenz zu zeigen. Ein wichtiger Teil der Problemlösungskompetenz besteht darin, Abstand nehmen zu können: Oft machen wir uns unheimlich viele Gedanken über eine Reaktion, ein Gespräch oder dergleichen, obwohl in 80 Prozent der Fälle überhaupt nichts passiert. Wir zerbrechen uns alleine den Kopf, und das führt zu künstlichen Spannungen.
Ich empfehle Manager:innen und allen anderen, die sensibles oder schwieriges Feedback geben müssen, zu versuchen, die Dinge nicht zu beschönigen. Vermeide die sogenannte Sandwich-Methode, bei der man eine negative Rückmeldung zwischen zwei positive Aussagen packt. Du sagst der anderen Person also: „Diese eine Sache war genial, aber das hingegen, naja ... Aber jenes wiederum war super!“ Dein Gegenüber wird sich fragen: „Okay, und welche Botschaft soll ich daraus jetzt mitnehmen?“ Damit die Person sich ernst genommen fühlt und wirklich das herüberkommt, was du sagen möchtest, musst du akzeptieren, dass ein möglicherweise negativer Moment bevorsteht. Nimm dir die Zeit, durchdacht, klar und sachlich zu sagen, was du zu sagen hast. Wenn es um einen subjektiven Eindruck oder dein Empfinden geht, erläutere es. Verzichte auf Beschuldigungen und Formulierungen wie „du hast dieses und jenes getan“, die die Verantwortung für die Situation ganz der anderen Person zuweisen, sondern sag eher „wenn du dieses oder jenes sagst oder tust, dann nehme ich das auf folgende Weise auf und empfinde folgende Emotionen“. Außerdem: Je ruhiger du die Dinge sagst, desto stärker wird sich auch dein Gegenüber ganz von selbst beruhigen.
Allerdings sieht man Konflikte nicht immer kommen ...
Das stimmt. Egal was kommt, es ist immer viel wert, so weit wie möglich Ruhe zu bewahren. Und wenn eine Situation in einem Moment ausweglos erscheint, kann man die Diskussion auch vertagen, indem man etwa sagt: „Okay, wir können die Meinungsverschiedenheit oder das Missverständnis heute nicht lösen. Es gelingt uns nicht, gut darüber zu reden. Nehmen wir uns etwas Zeit, zum Beispiel, um jeweils unsere Vision für die Konfliktlösung aufzuschreiben oder um uns zu informieren (denn nicht selten entstehen Konflikte, wenn man nicht auf demselben Informationsstand ist), und sprechen wir dann weiter.“
Achtung: Ich will damit nicht sagen, dass man den Mund halten oder das Thema fallenlassen soll. Stattdessen geht es darum, alles Nötige zu tun, damit man das Gespräch mit einer guten Grundlage wieder aufnehmen kann, auch wenn man dafür etwas auf sich nehmen muss. Das Wichtigste ist, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Konfliktlösung am Arbeitsplatz verlangt immer, dass man sich Mühe gibt. Aber dieser Aufwand ist niemals umsonst.
Inwiefern kann ein Konflikt konstruktiv oder sogar von Vorteil sein?
Das Gute an Konflikten ist: Man geht aus ihnen oft mit einer Situation, Beziehung oder Idee heraus, die deutlich interessanter ist als das, was man in der Ausgangssituation hatte. Denn da, wo es Differenzen gibt, entstehen die spannendsten Entwicklungen. Entweder man bleibt in einem Kompromissbereich, der für alle bequem ist, oder man macht sich bewusst, dass man über den Tellerrand schauen, die eigene Komfortzone verlassen und die Dinge aus einer neuen Perspektive betrachten sollte. Wenn man aus den gewohnten Denkweisen heraustritt und sich dazu bringt, zu erkennen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, Dinge anzugehen, entstehen Innovationen und Veränderungen. Man wird sich neuer Chancen bewusst, geht über sich selbst hinaus und schafft gemeinsam etwas Neues.
Und wenn man aus einem Konflikt mit einem Konsens, einem Kompromiss oder sogar neuen Ideen und Methoden herausgeht, bei denen man merkt, dass alle sie gleichermaßen großartig finden, stärkt das enorm das Vertrauen in sich selbst und die Beziehung zu den anderen. Wenn man die Konfliktsituation überwunden und sich gegenseitig alles gesagt hat, was man zuvor nicht sagen konnte, ist das ein Erfolgserlebnis für alle Beteiligten.
Hat die Unternehmenskultur einen Einfluss darauf, welche Konflikte auftreten und wie sie bewältigt werden?
Zweifellos. Junge Absolvent:innen denken manchmal, dass die Werte eines Unternehmens zweitrangig, abstrakt oder nur eine Marketingstrategie für das Recruiting wären. Viele Studierende, mit denen wir bei JobTeaser reden, sagen: „Schon klar, wir haben alle die gleichen Werte, wir bezeichnen uns alle als integer, wir haben alle ein offenes Ohr ... blablabla!“
Doch auch wenn solche in Stellenanzeigen genutzte Floskeln vielleicht manchmal oberflächlich klingen, solltest du meiner Ansicht nach beim Vorstellungsgespräch in Bezug auf genau diese Dinge auf dein Bauchgefühl achten. Das ist ein guter Zeitpunkt, um zu sehen und wahrzunehmen, wie die zwischenmenschlichen Beziehungen im Unternehmen gehandhabt werden und ob das Risiko besteht, dass du ständig im Konfliktmodus sein wirst – was zweifellos gleich viel weniger positiv wäre.
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