Life Design: Wie wir persönliche Selbstverwirklichung und Karriereplanung unter einen Hut bringen
Du bist jung und startest gerade im Arbeitsleben durch? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass du im Laufe deiner Karriere mindestens zehnmal den Job wechseln wirst – und dieser Gedanke kann einen durchaus nervös machen. Doch diese Revolution, die wir gerade beobachten, ist auch eine Gelegenheit, unser Handeln zu überdenken und uns neu zu orientieren. Sie bietet uns die Chance, auch unsere persönlichsten Ziele ernstzunehmen und in die Tat umzusetzen, so wie es die Vordenker:innen des Life Design empfehlen.
1. Mai 2023 · 1 min Lesezeit

Wir müssen uns wohl oder übel damit abfinden, dass es keinen sprechenden Hut gibt, der uns verrät, wo unsere Begabungen liegen, wonach wir uns sehnen und was wir für einen Charakter haben. Auch ein anderer Mensch kann uns diese Fragen nicht beantworten – und das noch weniger, wenn es darum geht, unseren Traumjob zu finden. Aber existiert so etwas wie ein Traumjob überhaupt? Eine Studie von Dell und dem Institute for the Future ergab, dass 85 % der Arbeitsplätze, die es im Jahr 2030 geben wird, heute noch gar nicht existieren und erst noch geschaffen werden, wenn künstliche Intelligenz und Robotik die Arbeitswelt auf den Kopf stellen. Gleichzeitig wird es immer unwahrscheinlicher, dass deine berufliche Laufbahn sich am selben Arbeitsplatz, in derselben Abteilung oder auch nur im selben Unternehmen abspielen wird. Aktuell sehen wir hier eine enorme Umwälzung: Junge Erwerbstätige werden laut Prognosen von Pôle Emploi 13- bis 15-mal im Laufe ihres Lebens den Job wechseln. Die Chance, dass dein erster Job auch dein letzter sein wird, ist also sehr klein.
Die Herausforderung
Angesichts all dieser Unsicherheit ist es verständlich, wenn du dich entmutigt fühlst, bevor du überhaupt mit der Jobsuche begonnen hast. Das Wichtigste ist, zu akzeptieren, dass die Karriereplanung nicht mehr ist, was sie einmal war: Wir alle zögern immer mehr, unser Privatleben zugunsten unserer beruflichen Karrieren zu opfern. Warum also nicht beides in Einklang bringen? Genau das ist das Ziel der Verfechter:innen des Life Design wie Mark Savickas, der zu den führenden Theoretiker:innen aus diesem Bereich gehört. Sie empfehlen, nicht dem unsicheren Konzept der Berufung zu folgen – schließlich passiert es nicht uns allen, dass uns ein Zugunglück in einem Kinofilm als Kind so sehr beeindruckt, dass wir es immer wieder nachspielen und zu Steven Spielberg werden. Die Life Designer sagen stattdessen: Wir sollten keinen utopischen Traumjob zu unserer Mission machen, sondern zuerst darüber nachdenken, wie wir unser Leben in seiner Gänze gestalten möchten.
Dieses Modell gründet sich auf Optimismus und eine positive Herangehensweise. Auguste Dumouilla, psychologische Karriereforscherin bei JobTeaser, sagt: Es ermöglicht uns, „uns unserer persönlichen Eigenschaften bewusst zu werden und sie weiterzuentwickeln, um unsere Ausbildung und unsere beruflichen Aktivitäten in allen Phasen unseres Lebens aktiv zu gestalten“. Der erste Grundsatz der Methode besteht darin, die Kontrolle über unsere Orientierung zurückzugewinnen. Ähnlich wie Psycholog:innen stellen die Berater:innen Fragen und regen zum Nachdenken an. Doch als Life Designer, also als die Person, die ihr Projekt in Angriff nimmt, bist du ganz auf dich selbst angewiesen. Lies weiter, um zu erfahren, warum.
Der Job muss die Ziellinie sein, nicht der Startpunkt
Auch wenn es beim Life Design ähnlich viele Methoden zu geben scheint wie Menschen, die es vertreten, sind sich alle einig, dass gewisse Schritte unverzichtbar sind. Jeder davon umfasst eine Frage, die du dir stellen solltest: Wer bist du? Was willst du? Was machst du, und wie? – Ist das Beantworten dieser Fragen schwerer, als du dachtest? Vermutlich. Aber keine Panik, wir geben dir ein paar Tipps.
Statt mit dem Ende zu beginnen (einer Stelle, die du dir wünschst, einer Berufung, einem Traumjob) und dann zu überlegen, wie du dorthin gelangst, solltest du dich stattdessen als Erstes fragen, wer du eigentlich bist. Identifiziere deine Talente, deine Stärken und Qualitäten. „Kenne dich selbst“, ganz wie unser Freund Sokrates sagen würde (erinnerst du dich an den Philosophieunterricht?). Bei dieser Selbstreflexion ist es nicht verboten, andere miteinzubeziehen, ganz im Gegenteil. Frag deine Eltern, Freund:innen, Professor:innen oder auch Kolleg:innen, wie sie dich sehen. Du kannst davon ausgehen, dass du ungeahnte Stärken entdecken wirst, aber auch einige deiner Grenzen.
Um diese Selbsterkundung zu Ende zu führen, ziehe Bilanz zu deinen bisherigen Erfahrungen. Dabei geht es um alle deine Erfahrungen, nicht nur die beruflichen. Du engagierst dich primär in einem Verein, einem Sport oder in der Familie? Dann mach das deutlich! Die Arbeitswelt muss sich damit abfinden, dass sie Konkurrenz hat. Vielleicht handelt es sich in Wirklichkeit aber auch um neue Verbündete! Du bist sonntags eine erstklassige Fußballspielerin? Dein Teamgeist wird ein Geschenk für dein zukünftiges Unternehmen sein. Du bist in einer Schreibwerkstatt aktiv und arbeitest auf den Literaturnobelpreis hin? Deine Kreativität ist für jedes Team ein Gewinn. Du bist der große Bruder von Drillingen? Niemand wird an deiner Resilienz und deinen Führungsqualitäten zweifeln. Jede solche scheinbare Nebensache im Lebenslauf ist kein Privatvergnügen oder gar Zeitverschwendung, sondern ein Vorteil, der einen klaren Mehrwert bringt. All dieses Wissen oder Können zeugt von deiner Agilität.
Werde zum Chamäleon
Je mehr du dich als Chamäleon zeigst, das sich vor einem Schachbrett genauso zuhause fühlt wie auf einer Theaterbühne oder in einem Gemeinschaftsgarten, desto größer ist deine Fähigkeit, dich an jede Situation anzupassen, die dein Leben dir vor die Füße legt. In einer Welt, in der sich Berufe und Aufgabenfelder ständig verändern, ist das nahezu unverzichtbar.
Der größte Vorteil dieser Selbsterkundung wird dir ein wenig später ins Auge springen, und zwar beim ersten Vorstellungsgespräch. Wenn man schon zuvor Bilanz gezogen hat, ist es deutlich einfacher, von sich zu erzählen, den eigenen Werdegang zu präsentieren und zu zeigen, wie das alles zusammenpasst. So kannst du dabei ganz ruhig bleiben und dir in aller Ruhe jeden Punkt in Erinnerung rufen.
Das Recht auf Utopie
Doch bevor wir über das Gespräch mit Personalverantwortlichen reden, sollten wir die anderen Schritte nicht vergessen. Der zweite Schritt des Life Design: Schreib deine tiefsten Sehnsüchte, Ziele und Wünsche auf (auch die verborgensten), genauso wie deine Prioritäten. Verbiete dir nichts, egal wie utopisch es ist. Glaub an deine Träume, wie Martin Luther King sagte. Vor allem: Glaub an alle deine Träume! Die Idee hinter diesem Schritt ist, alle Möglichkeiten und alle denkbaren Leben zu erkunden, die dich anziehen. Stell dir daraufhin dich selbst in all diesen Szenarien vor, etwa mithilfe von Mindmaps oder Visualisierungstechniken, und lass dir Zeit, dich ganz darauf einzulassen. Das ist die beste Möglichkeit, um zu verhindern, dass du in der Zukunft etwas bereust.
Ein Projekt mit Sinn
Nun kennst du dich selbst bis in die Fingerspitzen und es wird Zeit, dein berufliches Projekt zu definieren. Das ist der dritte Schritt. Warum erst jetzt? Es geht darum, mit den eigenen ethischen Überzeugungen, Bedürfnissen und Wünschen im Einklang zu sein, oder kurz gesagt: einen Job zu finden, der für dich Sinn und Bedeutung hat.
Ein befreiender Prozess
Nun bleibt nur noch, deine Ambitionen in die Tat umzusetzen. Wie kommst du vom Plan zur Realität? Dazu braucht es Wagemut und aktives Handeln. Sprich mit anderen, die bereits in einem Job tätig sind, mache Praktika, probiere dich aus. Hab keine Angst vor Versuch und Irrtum: Wenn etwas fehlschlägt, richte dich neu aus und mache weiter. Beim Life Design darfst du nicht vergessen: Deine Träume ändern sich und deine Erwartungen entwickeln sich weiter. Dein 18-jähriges Ich hat ganz andere Hoffnungen und Illusionen als der Mensch, der du 20 Jahre später sein wirst. Diese Selbsterforschung ist eine unvollendete Symphonie, ein Work in Progress, das in jeder Lebensphase stattfinden kann.
Dieser Gedanke kann sehr befreiend sein – für Schüler:innen, die gerade erfolglos nach ihrem ersten Praktikumsplatz suchen, genauso wie im falschen Studiengang eingeschriebene Studierende oder unzufriedene Angestellte. Du hast das Recht, Fehler zu machen, und du hast an jedem Punkt deines Lebens noch Zeit, dich infrage zu stellen und dich neu zu erfinden.
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