"Der ganze Saal brach in Gelächter aus. Alle machten sich über mich lustig. Und da wusste ich, dass ich es geschafft hatte"
Lerne die Geschichte von Nabil Boudi kennen - einem Anwalt, der erfolgreich das öffentliche Reden gelernt hat.
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Mit einer Äußerung kann man eine Situation in nur zehn Sekunden umkehren. Ich heiße Nabil Boudi, bin 35 Jahre alt und Rechtsanwalt in Paris. Ich war absolut nicht für ein höheres Studium bestimmt. Nach dem ersten Jahr am Oberstufe bin ich nicht mehr zur Schule gegangen, bis ich 22 Jahre alt war, also sechs Jahre lang. Ich gammelte herum, spielte Playstation und FIFA bis zum Abwinken. Mit 21 bin ich nach England gegangen. Es sollte eigentlich nur für eine Woche sein, aber letztlich bin ich ein Jahr geblieben. Ich habe meine gewohnte Umgebung und meine Komfortzone verlassen. Ich habe die Jugendlichen dort gesehen. Sie hatten alle irgendwie Biss, sie waren alle hungrig. Das war es, was ich dort gesucht habe. Und nach einem Jahr, obwohl ich jede Menge Möglichkeiten hatte, wollte ich zurück nach Frankreich.
Ich hatte Sachen nachzuholen. Ohne jemandem davon zu erzählen, habe ich das DAEU gemacht. Das ist ein Diplom, um an der Uni studieren zu können. Ich habe es so gerade mit der Note 4 geschafft. Daraufhin bin ich an die Rechtsfakultät gegangen. Und schon in den ersten Vorlesungen ging es zur Sache. Ich wusste schon ab dem zweiten Jahr, dass ich Anwalt werden würde. 2016 erhielt ich das CAPA, das Fähigkeitszertifikat für den Beruf des Rechtsanwalts.
Ich habe 3 Jahre lang in einer Kanzlei gearbeitet. Vor 2 Jahren habe ich mich selbstständig gemacht. An der Uni hatte ich keine Probleme, mich zu Wort zu melden. Aber als ich dann zu arbeiten begann, war es katastrophal. Meine ersten Anhörungen, ich muss fast lachen, so nervös war ich. Ich sprach sehr ruhig, aus Angst, etwas Dummes zu sagen. Ich führte meine Sätze nicht zu Ende, weil ich Angst hatte, man würde mir auf die Finger klopfen. Das hat mir alles andere als geholfen. Ich habe sofort verstanden, dass man sich Geltung verschaffe muss. Man kann nervös sein, aber man darf es nicht zeigen. Und nach einem Jahr ging ich wieder voll motiviert in die Anhörungen. Den ganzen Frust meiner Jugend lasse ich im Gerichtssaal heraus.
Normalerweise bleibt man hinter seinem Pult, während ich praktisch an den Staatsanwälten klebe. Man muss man selbst sein. Das sage ich den Neuen. Versucht nicht, wie jemand anderes zu sein, das klingt falsch. Dann verliert man alles. Man verliert an Emotionen. Anfangs versuchte ich, genau das zu machen. Ich wollte wie jeder andere Anwalt sein, aber ich bin eben nicht jeder andere Anwalt. Meine Redegewandtheit habe ich auf der Straße entwickelt, denn dort herrscht eine Clash-Kultur. Diese Clash-Kultur habe ich beibehalten. Und dann ist man zwangsläufig viel entspannter, wenn man redet. Redegewandtheit erfordert auch ein hohes Reaktionsvermögen. Man darf sich nicht von seinem Gegenüber destabilisieren lassen. Wenn man eine Panikattacke oder einen Anflug von Stress hat, wenn man das Wort ergreift, dann kann man ruhig einen Trick anwenden, um zu versuchen, Druck abzubauen. Das kann mit Humor sein. Oder indem man etwas anderes anspricht als das eigentliche Thema.
Bei mir kam der Klick letztes Jahr. Im Februar 2021. In Paris fand ein Schwurgerichtsprozess statt, bei dem ich einen der Angeklagten verteidigen sollte. Ich stand unter hohem Druck, denn mein Mandant war derjenige, dem eine der höchsten Strafen drohte. Ich kam zur Verhandlung, trat mit meinen Notizen vor das Pult, mein Hals war wie zugeschnürt. Ich konnte nicht reden. Ich trat einen Schritt zur Seite und machte eine kleine Atemübung. Dann ergriff ich das Wort. Ich sagte: „Ich möchte Ihnen von dem Album L'école du micro d'argent von IAM aus dem Jahr 1997 erzählen.“
Der ganze Saal brach in Gelächter aus. Alle machten sich über mich lustig. Und da wusste ich, dass ich es geschafft hatte, mein Druck war weg. Ich hielt das Plädoyer meines Lebens und mein Mandant wurde freigesprochen. Welchen Blick ich auf meine Karriere habe? Einen bescheidenen. Ich habe nicht das Gefühl, Berge versetzt zu haben. Aber ich bin zufrieden mit dem Anwalt, der ich geworden bin. Ich bin der Anwalt geworden, der ich sein wollte.
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